Serientäter

Die Debatte um fehlende Qualitätsserien im deutschen Fernsehen geht an der Realität vorbei. Eine starre Beschränkung auf TV-Formate führt dazu, dass selbst existente Sendungen mit phänomenalen Einschaltquoten nicht als das gesehen werden, was sie sein könnten.

Als Pilou Asbæk am Samstagabend als einer der Moderatoren des Eurivision Song Contest auf den Mattscheiben auftauchte, kam sein Gesicht vielen bekannt vor. Der dänische Schauspieler sorgte jahrelang als politischer Berater in der aus seinem Heimatland stammenden Fernsehserie Borgen für Furore. Dass er es auch beherrscht einen Gesangswettbewerb von internationer Bedeutung zu moderieren, erinnerte an eine Debatte, für die Borgen geradezu stellvertretend steht: die immer neue Diskussion um fehlende Qualitätsserien der deutschen Sender. Und am darauffolgenden Sonntagabend zeigte eben jenes deutsche Fernsehen, warum diese Kontroverse vermeintlich gar keine ist. Nur wahr nimmt das niemand.

Es ist schon paradox. Andauerndes Klagen, dass ARD oder ZDF niemals Serien wie House of Cards, Breaking Bad oder Sherlock auf die Beine stellen würden oder gar könnten, trifft in der öffentlichen Debatte auf einen explodierenden Kult um ein ebenso traditionelles wie beliebtes Format. Den Tatort.

Jeden Sonntag versammeln sich Familien, Greise und Jugendliche vor TV-Bildschirmen, gar Leinwänden in einer der mittlerweile unzählbaren Tatort-Bars, um ihrer Kriminalsendung zu huldigen. Einschaltquoten und Zuschauerzahlen steigen in die Höhe. Einige der „Tatorte“ gelten als besonders beliebt: Wenn Thiel und Boerne in Münster, Tschiller in Hamburg oder Ballauf und Schenk in Köln ermitteln, ermitteln die Deutschen im zweistelligen Millionenbereich mit.

Und diese Begeisterung kommt nicht von ungefähr: Der Tatort wird zwar zumeist von unterschiedlichen Regisseuren umgesetzt, die wechselnden Drehorte sorgen für einen touristischen Rundum-Schwenk durch die Bundesrepublik – doch es ist nicht nur die Abwechslung, die diese Reihe attraktiv macht. Der Tatort greift auch gesellschaftskritische Themen auf, und, wie die Kölner Ausgabe am Sonntag bewiesen hat, verknüpft diese im Idealfall mit einer spannenden Erzählweise.

Dass nicht jedes Wochenende die gleichen Kommissare auf dem Bildschirm auftauchen, nervt sicherlich die Hardcore-Fans der entsprechenden Polizisten. Doch es sorgt vor allem für eine fornmalistische Formatkritik der sturen Art: Dass der Tatort wechselnderweise durch Städte tourt, macht ihn zu einer Reihe, keiner Serie. Diese Formatklauberei ändert jedoch nichts an der Qualität der einzelnen Filme, die auch inhaltliche Anknüpfungspunkte für den nächsten Tatort der Orte bieten.

Der Tatort ist damit die Antwort auf die Seriendebatte um das deutsche Fernsehen. Er beweist, dass Generationen begeistert und kritische Themen in 90 Minuten verhandelt werden können. Er beweist, dass sich Qualität wiederholen kann, am gleichen Sendeplatz. Und gerade weil er jeden Sonntag wieder so leidenschaftlich in der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist der Beweis erbracht: Sonntagabend ermitteln Ballauf, Schenk und Kollegen auf gleichbleibendem Niveau – sie sind Serientäter.

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